Entscheidung am Huayna Potosi
16./17. November 2010
Eine der ganz grossen Dinger auf dieser Reise sollte die Besteigung eines richtig hohen Bergs werden. Und davon hat hier in den Hochanden von Peru und Bolivien eine ganze Menge. Ich entschliesse mich fuer den Huayna Potosi unweit von La Paz. Mit seinen 6.088m gilt er als einer der leichtesten 6.000er, was freilich nur relativ ist.
Ich treffe meine Gruppe am fruehen Vormittag in der Agentur nur wenige Meter von meinem Hotel in La Paz. Es ist ein Paar aus Lausanne in der Schweiz, unsere beiden Guides und ich. Wir stellen unsere Ausruestung zusammen. Schneehose, Gletscherstiefel, Steigeisen, Klettergurt, Eisaxt, Helm, die essentiellen Dinge eines solchen Unternehmens im Hochgebirge.
Gut gelaunt machen wir uns auf den gut zweistuendigen Weg in Richtung Basis Lager.
Wir verlassen La Paz und El Alto und fahren durch duerre Steinwueste in Richtung der Cordillera Real mit ihren schneebedeckten Gipfeln. Endlich sehen wir in der Ferne unser Ziel fuer heute und den naechsten Tag. An einem kleinen Friedhof machen wir halt und bestaunen den schaurig schoenen Motivkontrast. Mit wird das erste mal wirklich bewusst, wie hoch dieser Berg ist!
Wir erreichen das Basis Lager auf 4.700m und essen zu Mittag.
Wie so oft auf dieser Reise ist das Essen am unteren Ende. Ein abgehacktes Stueck gegrillten Huhns mit gesalzenem Reis. Zum Nachtisch ein Stueck gebackene Banane.
Ich essen, nicht weil es schmeckt, sondern weil ich sicher jedes bisschen Kalorien fuer den Aufstieg gebrauchen kann.
Dann beginnen wir unseren Weg zum High Camp.
Es ist schoenstes Wetter. Strahlende Sonne, keine Wolke. Der Himmel ein tiefes Blau. Wirdurchsteigen die Seitenmoraene des Gletschers - nur im unteren Teil als ausgetretener Weg. Weiter oben fuehrt die Route fast frei ueber die rostbraunen Felsen. Ich konzentriere mich auf jeden Schritt, um nicht umzuknicken oder in eine Felsspalte zu treten. Endlich erreichen wir nach gut drei Stunden Aufstieg das High Camp, unserem Lager fuer die Nacht auf 5.200m Hoehe. Es spaeter Nachmittag. wir geniessen die Aussicht und versuchen unsere Kraefte fuer die kommende Nacht zu sammeln.
Kalter Wind kommt auf, trotzdem ist es draussen in der Sonne waermer als in den eisigen Mauern des unbeheizten Refugios.
Wir essen frueh zu Abend. Nudeln mit Fleisch.
Um sechs Uhr legen wir uns hin, um so viel wie moeglich Ruhe zu sammeln vor dem muehsamen Aufstieg.
Ich lage mich in voller Montur in meinen Schlafsack und ziehe ihn bis oben hin zu. Nach einer Weile schlafe ich endlich ein, wache aber nach rund einer Stunde wieder auf. Eiskalter Wind pfeift durch die Fenster und Ritzen im Dach des Refugios. Der Klogang vor die Tuer frostet mich weiter herunter. Ich bin froh wieder in meinem Schlafsack zu liegen, aber einschlafen kann ich nicht mehr.
Endlich ist es Mitternacht und es kommt Leben in unser Lager von 10. Wortlos packen wir unsere Sachen zusammen, ziehen schweren Stiefel an und zurren den Klettergurt sicher fest. Er wird spaeter im Zweifelsfall die Lebensversicherung sein, wenn es Waende aus gefrorenem Eis hinauf oder mit einem beherzten Sprung ueber Gletscherspalten heisst.
Wir essen noch einem eine Kleinigkeit, trinken eine Tasse Coca Tee, dann verlassen wir das Refugio.
Am Gletscher angekommen schnallen wir die Steigeisen an und beginnen in der stockfinsteren Nacht, die nur vom Licht des untergehenden Monds und unseren Stirnlampen erhellt wird, unseren Aufstieg. Es liegen fast 900 Hoehenmeter ueber Gletscher und Geroell vor uns.
Es dauert nicht lange und ich merke, dass dieser Aufstieg wirklich schwer werden wird. Die Luft ist duenn und kalt. Das Wasser in meiner Flasche in der Seitentasche meines Rucksacks beginnt einzufrieren. Ich kann nicht einschaetzen, welchen Fortschritt wir beim Aufstieg machen. Um uns herum nur dunkle Nacht. Ich kann nur den Boden vor mir im Schein meiner Lampe erkennen und die Lichtpunkte am Kopf der anderen. Unsere Guides gehen mit schlafwandlerischer Sicherheit teils ohne eigenes Licht.
Als ich mich zu fragen beginne, ob ich den Gipfel wirklich erreichen werde, machen wir endlich eine erste Rast. Ich nehme meinen Rucksack ab, trinke etwas Eiswasser und essen einen steinhart gefrorenen Schokoriegel. Ich liege im Schnee des Gletschers, uber uns millionen von Sternen. Der Anblick des Kreuz des Suendens stimmt mich euphorisch. Jetzt bin ich finster entschlossen, mit bis zum Gipfel durchzubeissen.
Noch ehe ich meinen Schokoriegel fertig habe ist die Rast vorueber. Beim Aufbrechen schlinge ich den Rest hinunter in der Hoffnung, dass mir der Zucker zusaetzliche Kraft geben wird.
Nach einer gefuehlten Ewigkeit merke ich, wie mir der Aufstieg allmaehlig an die Substanz geht.
Ich bin sehr muede. Mir ist, als wuerde ich immer wieder einnicken, setze jedoch weiterhin einen Schritt vor den anderen.
Endlich wird es hell am Horizont und eine knappe Stunde spaeter geht die Sonne auf.
Ich schoepfe neuen Mut. Ich bin nicht mehr so muede und sehe mehr von der Strecke. Dafuer werde ich auch mehr der Gletscherspalten gewahr, die wir im Dunkeln mit einem grossen Schritt ueberquert haben. Jetzt kommen wir zu einer von gut einem Meter breite. Der Boden ist nicht zu sehen. Es ist klar, nur ein Weg fuehrt weiter zum Gipfel. Ein beherzter Sprung. Mein Guide geht als erster. Mit Leichtigkeit erreicht er die andere Seite. Jetzt holt er unser Seil dicht, um mich zu sichern. Ich stehe an der Kante, nie hat ein Meter weiter gewirkt. Ich nehme alle Kraft zusammen, springe so fest ich kann ab und erreiche gerade so die andere Seite. Ich spuehre den Zug am Seil und mache einen weiteren Schritt nach Vorn in Richtung meines Guides.
Wir sind dem Gipfel schon sehr nahe. Der Hoehenmesser zeigt 5.710m und nur noch 502mbar Luftdruck. Das sind deutlich weniger als die Haelft von normal. Mit Konzentration schaffe ich es im Knien meine Atmung in den Griff zu bekommen. Ich stehe auf und mache einen Schritt, atme zwei mal, mache einen weiteren Schritt, atme zwei mal. So steige ich wenige Meter weiter auf bevor ich wieder eine Rast machen muss. Aber ich bin festt entschlossen den Gipfel zu nehmen. Ich gehe weiter. Mir ist schlecht aber ich konzentriere mich auf die Atmung.
Wir klettern zwei Meter ueber eine Wand aus ineinander gerorener Eiszapfen. Jenseits des Eis ist eine weitere Spalte. Mein Guide haelt mich am kurzen Seil. MeinTrekingstock - bis hierher eine grosse Hilfe ist mir im Weg, genauso die Eisaxt. Irgendwie schaffe ich es mit den Steigeisen in der Wand halt zu finden und nehme die Wand. Schwer atmend knie ich am oberen Rand.
Mir ist schwindelig und ich sehe alles etwas gelber als normal. Zumindest kommt es mir so vor.
Ich stehe auf und schleppe mich weitere 10m den Berg hinauf. Ich sehe schon den Rand des Gletschers. Dann noch eine steile Felswand und darueber der Gipfel.
Ich gehe wieder auf die Knie.
Mein Guide fragt mich, ob ich wirklich weiter machen moechte.
Diese Frage stelle ich mir bereits seit fuenf Stunden.
Und bisher habe ich sie immer mit ja beantwortet.
Mein Guide erklaert mir den letzten Teil der Route. Noch bis an´s Ende des Gletschers, dann einen steilen Kamin hinauf und oben noch ein leichtes Stueck quer.
Mir faellt es schwer ueberhaupt aufzustehen und 10m am Stueck zu gehen. Wie soll ich einen Kamin durchklettern? In 6.000m Hoehe!
Schwer atmend liege ich im Schnee und waege die Optionen ab. Vielleicht schaffe ich es bis zum Kamin. Aber ich muss auch wieder zurueck. Ich muss den ganzen Weg wieder zurueck. Mir graut jetzt schon vor der Eiswand und der Sprungspalte.
Jede weitere Stunde hier oben macht meinen Rueckweg umso schwerer und damit auch gefaehrlicher.
Dann treffe ich meine Entscheidung.
Ich gebe auf und kehre um.
Der Altimeter zeigt 5.935m an. Nur 65m bis zur 6.000er Marke und nur 153m bis zum Gipfel. Aber ich kann nicht mehr. Und ich habe noch mehrere Stunden Abstieg vor mir.
Schweren Herzens sage ich meinem Guide, dass wir umdrehen. Ich glaube auch er ist enttaeuscht.
Jetzt gehe ich vorweg und stolpere meinen Weg in Tal.
Wir passieren die Eiswand und die Sprungspalte. Es faellt mir etwas leichter aber es kostet trotzdem eine Menge Ueberwindung.
Ich setze weiter einen Fuss vor den anderen. Stolpere immer wieder, falle und werde den Hang hinunter rutschend vom Seil gehalten.
Ich muss eine Pause machen. Neue Kraft sammeln.
Endlich kommen wir zu Haenge, die ich so noch nicht gesehen habe. Beim Aufstieg war es hier noch dunkel. Ich sehe weitere tiefe Spalten neben unserem Weg und grosse Wechten ueber uns.
Nach einer gefuehlten Ewigkeit kommt endlich unter uns das Refugio des High Camps in Sicht.
Ein letzter Hang. Ich kann im Schnee keinen Weg erkennen, aber mein Guide bedeutet mir hier lang oder dortt entlang zu gehen. Mir ist alles egal.
Endlich sind wir am letzten Gerollfeld vor dem Refugio. Ich nehme die Steigeisen ab und werde vom Seil geloest. Mein Guide geht voraus, aber ich weiss nicht, welche Route ich gehen soll. Ich sehe das Haus direkt vor mir keine 50m entfernt, aber ich weiss nicht, wie ich ueber die Felsen dort hin kommen soll.
Endlich erreiche auch ich das Refugio.
Ich schleppe mich in die Huette, werfe meinne Rucksack ab. Mit tauben Fingern versuche ich die schweren Stiefel auszuziehen. Dann krieche ich die Treppe hoch zu meinem Schlafplatz und rolle mich in meinen Schlafsack.
Aber ich bin zu erschoepft, zum Schlafen. Ich liege nur da mit geschlossenen Augen und atme tief ein und aus.
Nach einer halben Stunde raffe ich mich auf und packe meine Sachen zusammen. Wir muessen noch zum Base Camp absteigen. Weitere eineinhalb Stunden ueber Geroell und Fels.
Aber die Rast hat mir gut getan und der Abstieg faellt mir erstaunlich leicht.
Nach fast zwei Stunden erreichen wir das Basis Lager auf 4.700m. Das Paar aus Lausanne und die Guides feiern ihren erfolgreichen Aufstieg mir zwei grossen Falschen bolivianischen Biers. Ich schluerfe eine Cola.
Ich bin zutiefst frustriert.
Gut zwei Wochen bin ich schon in Hoehen von dreieinhalbtausend Meter und mehr. Ich bin den Pass der Toten Frau mit 4.200 auf dem Inka Trail gelaufen. Ich war zwischen Arequipa und Chivay auf einer Passhoehe von 4.700m und trotzdem hat es fuer diesen Gipfel nicht gelangt. Aber eine Stunde Schlaf vor einem grossen Aufstieg ist in dieser Hoehe eifach nicht genug.
Wir werfen unsere Sachen in das wartende Auto und fahren in Richtung La Paz. Hinter uns der Huayna Potosi, stolz und majesthaetisch. Heute war er staerker als ich. Nur wenige Meter, aber er hat gewonnen.
Eine der ganz grossen Dinger auf dieser Reise sollte die Besteigung eines richtig hohen Bergs werden. Und davon hat hier in den Hochanden von Peru und Bolivien eine ganze Menge. Ich entschliesse mich fuer den Huayna Potosi unweit von La Paz. Mit seinen 6.088m gilt er als einer der leichtesten 6.000er, was freilich nur relativ ist.
Ich treffe meine Gruppe am fruehen Vormittag in der Agentur nur wenige Meter von meinem Hotel in La Paz. Es ist ein Paar aus Lausanne in der Schweiz, unsere beiden Guides und ich. Wir stellen unsere Ausruestung zusammen. Schneehose, Gletscherstiefel, Steigeisen, Klettergurt, Eisaxt, Helm, die essentiellen Dinge eines solchen Unternehmens im Hochgebirge.
Gut gelaunt machen wir uns auf den gut zweistuendigen Weg in Richtung Basis Lager.
Wir verlassen La Paz und El Alto und fahren durch duerre Steinwueste in Richtung der Cordillera Real mit ihren schneebedeckten Gipfeln. Endlich sehen wir in der Ferne unser Ziel fuer heute und den naechsten Tag. An einem kleinen Friedhof machen wir halt und bestaunen den schaurig schoenen Motivkontrast. Mit wird das erste mal wirklich bewusst, wie hoch dieser Berg ist!
Wir erreichen das Basis Lager auf 4.700m und essen zu Mittag.
Wie so oft auf dieser Reise ist das Essen am unteren Ende. Ein abgehacktes Stueck gegrillten Huhns mit gesalzenem Reis. Zum Nachtisch ein Stueck gebackene Banane.
Ich essen, nicht weil es schmeckt, sondern weil ich sicher jedes bisschen Kalorien fuer den Aufstieg gebrauchen kann.
Dann beginnen wir unseren Weg zum High Camp.
Es ist schoenstes Wetter. Strahlende Sonne, keine Wolke. Der Himmel ein tiefes Blau. Wirdurchsteigen die Seitenmoraene des Gletschers - nur im unteren Teil als ausgetretener Weg. Weiter oben fuehrt die Route fast frei ueber die rostbraunen Felsen. Ich konzentriere mich auf jeden Schritt, um nicht umzuknicken oder in eine Felsspalte zu treten. Endlich erreichen wir nach gut drei Stunden Aufstieg das High Camp, unserem Lager fuer die Nacht auf 5.200m Hoehe. Es spaeter Nachmittag. wir geniessen die Aussicht und versuchen unsere Kraefte fuer die kommende Nacht zu sammeln.
Kalter Wind kommt auf, trotzdem ist es draussen in der Sonne waermer als in den eisigen Mauern des unbeheizten Refugios.
Wir essen frueh zu Abend. Nudeln mit Fleisch.
Um sechs Uhr legen wir uns hin, um so viel wie moeglich Ruhe zu sammeln vor dem muehsamen Aufstieg.
Ich lage mich in voller Montur in meinen Schlafsack und ziehe ihn bis oben hin zu. Nach einer Weile schlafe ich endlich ein, wache aber nach rund einer Stunde wieder auf. Eiskalter Wind pfeift durch die Fenster und Ritzen im Dach des Refugios. Der Klogang vor die Tuer frostet mich weiter herunter. Ich bin froh wieder in meinem Schlafsack zu liegen, aber einschlafen kann ich nicht mehr.
Endlich ist es Mitternacht und es kommt Leben in unser Lager von 10. Wortlos packen wir unsere Sachen zusammen, ziehen schweren Stiefel an und zurren den Klettergurt sicher fest. Er wird spaeter im Zweifelsfall die Lebensversicherung sein, wenn es Waende aus gefrorenem Eis hinauf oder mit einem beherzten Sprung ueber Gletscherspalten heisst.
Wir essen noch einem eine Kleinigkeit, trinken eine Tasse Coca Tee, dann verlassen wir das Refugio.
Am Gletscher angekommen schnallen wir die Steigeisen an und beginnen in der stockfinsteren Nacht, die nur vom Licht des untergehenden Monds und unseren Stirnlampen erhellt wird, unseren Aufstieg. Es liegen fast 900 Hoehenmeter ueber Gletscher und Geroell vor uns.
Es dauert nicht lange und ich merke, dass dieser Aufstieg wirklich schwer werden wird. Die Luft ist duenn und kalt. Das Wasser in meiner Flasche in der Seitentasche meines Rucksacks beginnt einzufrieren. Ich kann nicht einschaetzen, welchen Fortschritt wir beim Aufstieg machen. Um uns herum nur dunkle Nacht. Ich kann nur den Boden vor mir im Schein meiner Lampe erkennen und die Lichtpunkte am Kopf der anderen. Unsere Guides gehen mit schlafwandlerischer Sicherheit teils ohne eigenes Licht.
Als ich mich zu fragen beginne, ob ich den Gipfel wirklich erreichen werde, machen wir endlich eine erste Rast. Ich nehme meinen Rucksack ab, trinke etwas Eiswasser und essen einen steinhart gefrorenen Schokoriegel. Ich liege im Schnee des Gletschers, uber uns millionen von Sternen. Der Anblick des Kreuz des Suendens stimmt mich euphorisch. Jetzt bin ich finster entschlossen, mit bis zum Gipfel durchzubeissen.
Noch ehe ich meinen Schokoriegel fertig habe ist die Rast vorueber. Beim Aufbrechen schlinge ich den Rest hinunter in der Hoffnung, dass mir der Zucker zusaetzliche Kraft geben wird.
Nach einer gefuehlten Ewigkeit merke ich, wie mir der Aufstieg allmaehlig an die Substanz geht.
Ich bin sehr muede. Mir ist, als wuerde ich immer wieder einnicken, setze jedoch weiterhin einen Schritt vor den anderen.
Endlich wird es hell am Horizont und eine knappe Stunde spaeter geht die Sonne auf.
Ich schoepfe neuen Mut. Ich bin nicht mehr so muede und sehe mehr von der Strecke. Dafuer werde ich auch mehr der Gletscherspalten gewahr, die wir im Dunkeln mit einem grossen Schritt ueberquert haben. Jetzt kommen wir zu einer von gut einem Meter breite. Der Boden ist nicht zu sehen. Es ist klar, nur ein Weg fuehrt weiter zum Gipfel. Ein beherzter Sprung. Mein Guide geht als erster. Mit Leichtigkeit erreicht er die andere Seite. Jetzt holt er unser Seil dicht, um mich zu sichern. Ich stehe an der Kante, nie hat ein Meter weiter gewirkt. Ich nehme alle Kraft zusammen, springe so fest ich kann ab und erreiche gerade so die andere Seite. Ich spuehre den Zug am Seil und mache einen weiteren Schritt nach Vorn in Richtung meines Guides.
Wir sind dem Gipfel schon sehr nahe. Der Hoehenmesser zeigt 5.710m und nur noch 502mbar Luftdruck. Das sind deutlich weniger als die Haelft von normal. Mit Konzentration schaffe ich es im Knien meine Atmung in den Griff zu bekommen. Ich stehe auf und mache einen Schritt, atme zwei mal, mache einen weiteren Schritt, atme zwei mal. So steige ich wenige Meter weiter auf bevor ich wieder eine Rast machen muss. Aber ich bin festt entschlossen den Gipfel zu nehmen. Ich gehe weiter. Mir ist schlecht aber ich konzentriere mich auf die Atmung.
Wir klettern zwei Meter ueber eine Wand aus ineinander gerorener Eiszapfen. Jenseits des Eis ist eine weitere Spalte. Mein Guide haelt mich am kurzen Seil. MeinTrekingstock - bis hierher eine grosse Hilfe ist mir im Weg, genauso die Eisaxt. Irgendwie schaffe ich es mit den Steigeisen in der Wand halt zu finden und nehme die Wand. Schwer atmend knie ich am oberen Rand.
Mir ist schwindelig und ich sehe alles etwas gelber als normal. Zumindest kommt es mir so vor.
Ich stehe auf und schleppe mich weitere 10m den Berg hinauf. Ich sehe schon den Rand des Gletschers. Dann noch eine steile Felswand und darueber der Gipfel.
Ich gehe wieder auf die Knie.
Mein Guide fragt mich, ob ich wirklich weiter machen moechte.
Diese Frage stelle ich mir bereits seit fuenf Stunden.
Und bisher habe ich sie immer mit ja beantwortet.
Mein Guide erklaert mir den letzten Teil der Route. Noch bis an´s Ende des Gletschers, dann einen steilen Kamin hinauf und oben noch ein leichtes Stueck quer.
Mir faellt es schwer ueberhaupt aufzustehen und 10m am Stueck zu gehen. Wie soll ich einen Kamin durchklettern? In 6.000m Hoehe!
Schwer atmend liege ich im Schnee und waege die Optionen ab. Vielleicht schaffe ich es bis zum Kamin. Aber ich muss auch wieder zurueck. Ich muss den ganzen Weg wieder zurueck. Mir graut jetzt schon vor der Eiswand und der Sprungspalte.
Jede weitere Stunde hier oben macht meinen Rueckweg umso schwerer und damit auch gefaehrlicher.
Dann treffe ich meine Entscheidung.
Ich gebe auf und kehre um.
Der Altimeter zeigt 5.935m an. Nur 65m bis zur 6.000er Marke und nur 153m bis zum Gipfel. Aber ich kann nicht mehr. Und ich habe noch mehrere Stunden Abstieg vor mir.
Schweren Herzens sage ich meinem Guide, dass wir umdrehen. Ich glaube auch er ist enttaeuscht.
Jetzt gehe ich vorweg und stolpere meinen Weg in Tal.
Wir passieren die Eiswand und die Sprungspalte. Es faellt mir etwas leichter aber es kostet trotzdem eine Menge Ueberwindung.
Ich setze weiter einen Fuss vor den anderen. Stolpere immer wieder, falle und werde den Hang hinunter rutschend vom Seil gehalten.
Ich muss eine Pause machen. Neue Kraft sammeln.
Endlich kommen wir zu Haenge, die ich so noch nicht gesehen habe. Beim Aufstieg war es hier noch dunkel. Ich sehe weitere tiefe Spalten neben unserem Weg und grosse Wechten ueber uns.
Nach einer gefuehlten Ewigkeit kommt endlich unter uns das Refugio des High Camps in Sicht.
Ein letzter Hang. Ich kann im Schnee keinen Weg erkennen, aber mein Guide bedeutet mir hier lang oder dortt entlang zu gehen. Mir ist alles egal.
Endlich sind wir am letzten Gerollfeld vor dem Refugio. Ich nehme die Steigeisen ab und werde vom Seil geloest. Mein Guide geht voraus, aber ich weiss nicht, welche Route ich gehen soll. Ich sehe das Haus direkt vor mir keine 50m entfernt, aber ich weiss nicht, wie ich ueber die Felsen dort hin kommen soll.
Endlich erreiche auch ich das Refugio.
Ich schleppe mich in die Huette, werfe meinne Rucksack ab. Mit tauben Fingern versuche ich die schweren Stiefel auszuziehen. Dann krieche ich die Treppe hoch zu meinem Schlafplatz und rolle mich in meinen Schlafsack.
Aber ich bin zu erschoepft, zum Schlafen. Ich liege nur da mit geschlossenen Augen und atme tief ein und aus.
Nach einer halben Stunde raffe ich mich auf und packe meine Sachen zusammen. Wir muessen noch zum Base Camp absteigen. Weitere eineinhalb Stunden ueber Geroell und Fels.
Aber die Rast hat mir gut getan und der Abstieg faellt mir erstaunlich leicht.
Nach fast zwei Stunden erreichen wir das Basis Lager auf 4.700m. Das Paar aus Lausanne und die Guides feiern ihren erfolgreichen Aufstieg mir zwei grossen Falschen bolivianischen Biers. Ich schluerfe eine Cola.
Ich bin zutiefst frustriert.
Gut zwei Wochen bin ich schon in Hoehen von dreieinhalbtausend Meter und mehr. Ich bin den Pass der Toten Frau mit 4.200 auf dem Inka Trail gelaufen. Ich war zwischen Arequipa und Chivay auf einer Passhoehe von 4.700m und trotzdem hat es fuer diesen Gipfel nicht gelangt. Aber eine Stunde Schlaf vor einem grossen Aufstieg ist in dieser Hoehe eifach nicht genug.
Wir werfen unsere Sachen in das wartende Auto und fahren in Richtung La Paz. Hinter uns der Huayna Potosi, stolz und majesthaetisch. Heute war er staerker als ich. Nur wenige Meter, aber er hat gewonnen.