Donnerstag, 25. November 2010

Die Minen von Potosi

23. November 2010

El Cerro Rico, der reiche Huegel von Potosí spiel eine wahrlich tragische Rolle in der Geschichte Boliviens und seiner Menschen. Der Legende nach campierte der Inka Diego Huallpa am Fuss des Bergs. Als sein Feuer richtig heiss war floss eine schimmernde Fluessigkeit unter der Feuerstelle heraus. Der Inka Huayna Capac war der Legende nach jedoch von einer donnernden Stimme angewiesen worden, beim Berg von Potojsi nicht nach Metall zu graben, denn es gehoere nicht ihm sondern anderen.
Als die Spanier von dem gehaltvollen Berg erfuhren begannen sie, ihn mit versklavten Quechuan auszubeuten. Jahrhunderte lang fuellte das Silber Potosis die spanischen Schatzkammern und finanzierte so die Unterwerfung Lateinamerikas und die ausschweifende Lebensweise zu Hof.
Heute werden die klaeglichen Reste des im Berg enthaltenen Metalls von Minenkooperativen gefoerdert. Die Kumpel arbeiten unter wahrhaft unmenschlichen Bedingungen. Die arbeit ist fast ausschliesslich manuell. Sicherheitsstandards gibt es nicht, einen uebergeordneten Plan auch nicht. Tunneleinstuerze sind an der Tagesordnung - jedoch meisst direkt im Anschluss an die abendlichen Sprengungen.
Ein Besuch in den Minen ist gefaehrlich. Sie sind kein Museum.

Wir treffen uns am Morgen nach dem Fruehstueck in der Agentur, die von einem ehemaligen Minenarbeiter betrieben wird. Alle Guides haben teils mehrere Jahre in den Minen gearbeitet und kennen die Stollen und die Kumpel, die dort schufften.
Wir bekommen Hosen und Jacken zum Ueberziehen, Gummistiefel und Helm mit Grubenlampe. Ein Bandana fuer 10 Bolivianos (rund 1 Euro) ist zwar teuer, es soll sich jedoch als eine der besten Investitionen des Tages herausstellen.


So ausstaffiert fahren wir gutgelaunt zum Miner´s Market, wo die Kumpel sich mit ihrem taeglichen Bedarf an Dynamit, Alkohol und Coca-Blaettern eindecken. Wir kaufen ebenfalls ein, Geschenke fuer die Kumpel unter Tage, wenn wir zum Fotografieren ihrer hoellischen Arbeit zu Besuch kommen.
Ich kaufe eine Tuete mit Dynamit (komplett mit Zuendschnur und einem Paeckchen Ammoniumnitrat), Coca-Zigaretten und eine grosse Tuete Coca-Blaetter. Und ein extra Set Dynamit fuer die anschliessende Demonstration einer Sprengung.
Unglaublich, dass man hier einfach an einem Loch in der Wand Laedchen vorbeigeht, und sich ein paar Stangen Dynamit, fertig zur Verwendung, kaufen kann. Und mit rund 2 Euro pro Set durchaus erschwinglich.
Eine dicke Tüte Coca-Blätter gibt es für 50 Cent, einen Liter reinen Trinkalkohol (96%) für einen Euro.
Unser Guide Diego erklärt uns, dass die Bergleute vor dem Trinken immer einen Teil opfern. Über Tage der Erdgöttin Pachamama. Unter Tage sind sie aber in der Hand des Herrschers über die Unterwelt, der Hölle. Sie sprechen seinen Namen nicht aus sondern nennen ihn nur "Tio", Onkel. Unter Tage opfern sie ihm und bitten ihn um seinen Schutz und um reiche Ausbeute. Diego gießt uns einen Fingerhut voll Schnaps, wir schütten die Hälfte auf den Boden und bitten Tio um seinen Schutz für uns und die Kumpel im Berg. Dann leeren wir den Rest auf Ex. Der Schnaps brennt die Kehle hinab bis in den Bauch. Ich kämpfe mit dem Würgereflex und huste gegen das Brennen an. Diego erklärt, dass die Bergleute den Schnaps verdünnen. Dann hält so ein Liter gut vier Stunden.

Diego zeigt uns die Rafenerie der Kooperative. Hierher wird die tägliche Ausbeute der Kumpel angeliefert. Die Erzbrocken werden zerkleinert, gemahlen und mit allen möglichen giftigen Chemikalien verrührt. Alles im offenen Prozess. Über der Tür hängt ein Schild "Prohibido ingresar borracho al trabajo" - Es ist verboten sich auf der Arbeit zu betrinken! Ich denke an die Literflaschen reinen Alkohols für vier Stunden Arbeit.
Am Ende des mehrstufigen Komplex bleibt eine grau-schwarze Pampe, die, so Diego 80% Silberanteil habe. Kaum vorstellbar.
Diego erklärt uns, dass sie in Bolivien keine Möglichkeit hätten aus dieser Pampe echtes Silber zu schmelzen. Deshalb würden sie das ganze nach Chile und Argentinien verkaufen. Zur Zeit würde sie wegen des hohen Silberpreises gut verdienen. Aber ich vermute im Stillen, dass die Kooperative nur einen Bruchteil der 20 Euro pro Feinunze bekommen. Es betrübt mich, dass diese Gesellschaft nicht in der Lage ist, genügend Kapital zu beschaffen, um den größten Teil der Wertschöpfung im eigenen Land zu erbringen. So bleibt den Menschen dort nur die lebenszehrende Schufterrei für Hungerlöhne.
Wir fahren den Berg hinauf zu einem der zahlreichen Eingänge zur Unterwelt. Wir überprüfen noch einmal unsere Lampen, Diego nimmt die Geschenke für die Bergleute an sich, dann geht es los. Wir betreten das Berginnere durch eine niedrige Öffnung im Berg. Vor uns liegt ein dunkler Stollen, die Wände und Decke aus rauhem Fels, der Boden aus Erde. Wir stolpern über Schienen für die Loren und treten in Pfützen aus Wasser. Vertrebungen, die den Stollen stützen gibt es keine. An den Wänden sind provisorisch dicke Schläuche aufgehängt, aus denen es immer wieder zischt. Die teure Druckluft für jene Kumpel, die sich den Luxus von gemieteten Presslufthammern leisten können. Wir marschieren hintereinander in's Dunkel und lassen das Tageslicht hinter uns. Es wir dunkler und dunkler und bald ist nur noch das wirklich zu erkennen, das von unseren Grubenlampen direkt angestrahlt wird.
Der Stollen wird enger und niedriger. Ich bleibe mit dem Kopf an einem Felsvorsprung hängen und werde jäh nach hinten gerissen. Ich bin heil froh, dass wir Helme bekommen haben.
Nach einer Biegung bleibt Diego plötzlich stehen, geht in die Knie und späht den Stollen entlang in die Dunkelheit. Dann dreht es sich plötzlich und ruft "BACK". Ehe ich mich versehe ist er schon an mir vorbei in die Richtung verschwunden, aus der wir gekommen sind. Dann sehe auch ich die Lichter im Tunnel auf uns zu kommen. Auch ich drehe mich um und schiebe die Holländerin Anne vor mir her den Tunnel zurück. Ein Hauch von Panik macht sich breit. Wir erreichen eine Stelle, an der links und rechts der Schienen etwas Platz ist und drängen uns alle in diesen Bereich. Kurz darauf passiert uns eine schwere Lore voller Erz. Sie wird von zwei Männern gezogen, die sich mit aller Kraft vor das tonnenschwere Gefährt hängen und zwei weiteren, die hinten mit aller Kraft schieben. Kein Grund zur Panik. Lebensgefahr hat für uns keine bestanden. Auf der anderen Seite ist es gut, dass wir den Kumpel Platz gemacht haben und ihre harte Arbeit nicht durch dummes im Weg stehen unnötig erschweren.


Wir gehen wieder weiter und kommen an einen Abzweig. Einige Meter in den Seitenstollen hinein ist der Weg verperrt. Es ist, als säße jemand mitten im Stollen auf einem großen Stein und rauchte eine Zigarette. Als wir näher kommen erkennen wir im Schein unserer Lampen deutlich Hörner auf dem Kopf des Sitzenden. Wie entspannt zurückgelehnt wirkt die Figur, fast gönnerhaft lächelnd. El Tio erklärt Diego. Hier kommen die Bergleute zu Beginn ihrer Arbeit vorbei, bringen ihm Zigaretten, Coca-Blätter und Schnaps.
Eigentlich dürfen keine Frauen in die Minen erklärt uns Diego. El Tio könnte gefallen an ihnen finden, was Pachamama eifersüchtig machen würde. Zur Strafe lässt sie dann dort, wo der Ehemann der Frau arbeitet keine Mineralien wachsen, so dass der arme mit leeren Händen nach Hause kommen wird. Aber bei Turistenfrauen das das kein Problem. Deren Männer würde ja nicht hier arbeiten.

Jetzt wird es das erste mal richtig eng. Wir kriechen einen steilen Tunnel hinunter. Immer enger wird der Tunnel bis wir am Ende auf Holzbohlen bergab rutschen. Wir müssen aufpassen nicht zu sehr mit unseren Gummistiefeln zu bremsen. Es ist nicht genügend Platz unterm Fels, um die Knie anzuziehen. Und einmal zum Stillstand gekommen ist es schwierig weiter zu rutschen. Nach einer Stelle mit etwas mehr Platz geht es auf der anderen Seite ebenso bergauf. Wir legen uns auf den Bauch und robben langsam die Bohlen entlang nach oben. Mir ist heiss. Ich merke, wie mir der Schweiss unterm Helm die Schläfen hinunter rinnt. Meine Atmung geht schnell, es ist unheimlich anstrengend. Mein Altimeter zeigt auch im Berg 4.300m an. Ich versuche meine Knie unter mich zu ziehen, um auf allen vieren weiter zu krabbeln. Aber der Stollen ist nicht hoch genug und ich stoße mit dem Rücken an den schroffen Fels. Ich robbe auf dem Bauch liegend weiter bergauf.
Endlich vergrößert sich der Stollen und wir sammeln uns an einem Abzweig in mehrere Richtungen. Ich atme schwer unter meinem Staubtuch, es ist unglaublich warm hier trotz der fehlenden Sonne.
In einem Schacht neben uns hören wir die Arbeiter. Es ist, als würden sie schwere Balken in ein tiefes Loch werfen. Plötzlich ein Splittern und lautes Zischen. Einer der Balken hat offenbar eine Pressluftleitung zerschlagen. Binnen weniger Sekunden ist der Stollen mit dichtem Staub gefüllt. Es wird noch schwerer durch das Tuch zu atmen. Ich kann meinen Gegenüber nicht mehr erkennen. Die Lampen werfen nur noch einen hellen Kegel Licht in die staubige Luft, malen helle Punkte dort, wo sie auf Fels oder Mensch treffen. Ich zwinge mich ruhig und tief zu atmen. Trotz meines Tuchs habe ich das Gefühl Tonnen von Staub einzuatmen. Wir gehen weiter, um aus der staubigen Luft zu kommen, dann hört das Zischen auf. Jemand hat eines der Absperrventile betätigt. In ein paar Minuten wird sich der Staub legen. Einige Level tiefer stehen jetzt aber auch Presslufthammer still.
Ein gutes Stück weiter kommen wir zu einer Gruppe von Arbeitern, die im niedrigen Stollen kauern und aus dem Fels gesprengtes Erz mit Hammern zerschlagen und und auf Mineralien untersuchen. Gute Stücke kommen in einen Sack, der Rest wird von den einfachen Kumpel in Bottichen zusammengeschaufelt und am Seil zum nächsten Stollen mit Schienen für die Loren gezogen. Diego verteilt einige unserer Geschenke an die Männer, die sich höflich bei uns dafür bedanken.


Wir kriechen weiter, querab in einen anderen Tunnel und treffen an dessenm Ende auf einen alten Mann. Ganz allein kauert er da im tiefen Fels und treibt einen dicken Meissel mit den Schlägen seines Hammers in die felsige Tunneldecke. Wieder und wieder schlägt er auf den Meissel ein, aber es ist kein Fortschritt zu erkennen. Seit heute morgen sei er schon hier zu Gange antwortet er. Es ist Mittagszeit vorbei. Er muss sich beeilen das Loch bis heute Abend tief genug für eine eine Spengung zu haben. Dann wird er eine Stange Dynamit mit der langen Zündschnur versehen, das ganze mit dem Beutel Ammoniumnitrat so tief, wie möglich in das Loch schieben und die Lunte am langen Ende anzünden. Zehn bis fünfzehn Minuten später wird der Sprengsatz zünden. Hoffentlich ist er bis dahin weitgenug entfernt, damit ihm weder die Druckwelle noch der nachgebende Berg etwas anhaben können. Und hoffentlich sprengt nicht jemand anders dicht an einer Stelle, an der er vorbei muss auf dem Weg zum Tageslicht, das bis dahin längst keines mehr sein wird.
Wir fragen ihn, wie lange er schon in dieser Mine abreite.
Seit 28 Jahren, seine Antwort.
Unvorstellbar.
Wir schenken dem Alten eine Tüte mit Dynamit für seine Sprengung heute Abend und eine große Flasche Limonade. Auch er bedankt sich höflich. Wir wünschen ihm Buena Suerte - viel Glück - und lassen Ihn im Schein seiner Grubenlampe wieder allein in der Dunkelheit hämmern.
An unserer letzten Station auf unserer Tour unter Tage treffen wir zwei Kumpel, die Erzkies und -matsch in große Bottiche schippen, die dann eine schräge Rampe hochgezogen werden.
Als Diego ein paar Sätze mit ihnen wechselt machen sie eine Pause und ruhen sich einen Moment aus.
Ich greife mir eine Schaufel und beginne den Kies vom großen Haufen in der Mitte der Kaverne in einen der Kübel zu schippen. Ich bekomme die Schippe kaum in den Steinhaufen getrieben. Es ist enttäuschend, wie wenig ich so auf das Blatt der Schaufel bekomme. Und doch ist es kaum zu glauben, wie schwer sie ist.
Ich treibe die Schaufel wieder in den Haufen. Dieses mal bleibt etwas mehr auf ihr liegen, was sie aber nicht leichter macht.
Diego greift sich ebenfalls eine Schaufel und beginnt den Kübel zu füllen. Er schaufelt mindestens doppelt so schnell wie ich. Jede seiner Schaufeln ist gehäuft voll mit dem matschigen Erzschotter.
Ich atme schwer unter meinem Halstuch. Aber ich will nicht aufhören, bevor nicht wenigstens einer der Kübel voll ist. Dann ist es endlich geschafft. Wir haben einen Kübel gehäuft voll. Diego hängt ihn an ein Seil und ruft ein Komando die Schräge hinauf, dann setzt sich der Kübel mit einem Ruck in Bewegung und verschwindet in der Decke. 250 Kilo Erz sind auf dem Weg zum Level 1, wo sie in eine der bereitstehenden Loren gekippt werden bis sie voll ist und vier Kumpel sie nach draußen schieben und zerren.
Wir versorgen die beiden Männer an dieser Station mit zwei Tüten Kokabläätern und lassen sie wieder ihre Arbeit verrichten.
Während wir uns auf den Weg zum Level 1 machen hören wir hinter uns das Scharren der Schaufeln im steinigen Matsch.
Wir gehen gebückt den niedrigen Gang zurück, klettern einen engen Schacht hinauf. Das Atmen ist schwer in der staubigen Luft. Ich huste fast ununterbrochen. Der Schweiss läuft mir unter dem Helm den Kopf hinunter und vermischt sich mit dem Dreck auf meiner Haut.
Endlich wird der Stollen wieder höher. Dann biegen wir auf den Hauptstollen mit den Schienen ein. Jetzt können wir fast die ganze Zeit aufrecht gehen. Ich bleibe nur noch von Zeit zu Zeit mit dem Helm an einem der sporadischen Balken zum Abstützen der Decke hängen.
Ich merke, wie sich mein Körper und Geist nach dem Sonnenschein des offenen Tags sehnen. Meine Schritte werden schneller.
Dann endlich sehe ich einen Lichpunkt vor mir. Nie hätte ich gedacht, dass das so oft im Sprichwort bemühte Licht am Ende des Tunnels so viel Erleichterung in mir bewirken könnte.
Dann erreichen wir den Ausgang der Mine und treten wieder in den Tag und unter den tiefblauen Himmel Boliviens. Die Sonne ist grell und schmerzt in den Augen. Eine unbeschreibliche Last fällt von mir, die ich so direkt nicht wahrnehmen wollte. Erst jetzt, wo sie von mir abfällt werde ich gewahr, wie schwer sie unter Tage auf mir lastete.
Wir scherzen und überspiel mit Ausgelassenheit unsere Erleichterung und Betroffenheit überr die vergangenen zwei Stunden.

Dann holt Diego die letzte Tüte unserer Geschenke hervor, das Set, das ich zur Demonstration einer Dynamitsprengung gekauft habe. Diegopräpariert mit gekonnten Handgriffen die Ladung in der Tüte und zündet dann die Lunte. Ungläubig schauen wir ihn an, als er fragt, wer ein Foto von sich mit der brennenden Bombe machen möchte.
Der Reihe um nehmen wir die Ladung entgegen und lassen uns mit der brennenden Zündschnur fotografieren.
Endlich nimmt Diego das Paket wieder entgegen und läuft damit den Weg entlang und deponiert die Ladung ein gutes Stück neben der Straße im Steilhang. Als er fast wieder bei uns ist detoniert das Dynamit mit einer Wucht, die selbst meine größten Erwartungen übertrifft. Es ist als würde ich genau an der Stelle stehen, wo eine riesige Ozeanwelle bricht und ich von der senkrechten Wasserwand getroffen werde.
Unglaublich!
Wenig später sitzen wir im Bus, der uns wieder zurück in den Ort schaukelt.
Ich schaue aus dem Fenster auf die kruden Gebäude der Kooperativen, die armseligen Baracken der Minenarbeiter. Allmählig beginne ich das ganze Ausmaß dieser höllischen Arbeit zu erfassen. Was es bedeuten muss, 10 Studen Schiten hier zu schufften, sechs Tage die Woche, immer mit dem Risiko bei einem der zahlreichen Tunnelbrüche verschüttet zu werden - oder über die Jahre den eigenen Körper derart zu vergiften, dass es schließlich viel zu früh kapituliert.
Und wie gut habe ich es, in einem Land geboren zu sein, in dem ich wie selbstverständlich eine gute Schulbildung erhalten habe, in dem ich so viele Chancen habe und mit einer Arbeit meinen Lebensunterhalt verdienen kann, bei der die größte Gefahr darin besteht, auf verschüttetem Kaffee auf der Treppe auszurutschen.
Manchmal bedarf es offenbar solcher Schocks, um sich der eigenen Situtation wieder bewusst zu werden und die eigene Wahrnehmung zu relativieren und neu zu kalibrieren.

Mittwoch, 24. November 2010

Salar Uyuni y las Lagunas Coloradas

19.-21. November 2010

Ich komme voellig geraedert mit dem Nachtbus aus La Paz in dem Wuestenkaff Uyuni an. Die Fahrt ueber die ungeteerte Piste, durchsetzt von Schlagloechern machte ein schlafen fast unmoeglich. Die Busse in Bolivien kommen in Komfort bei weitem nicht an den Standard von Cruz del Sur in Peru heran.
Uyuni waere eine armseelige Ansammlung von Haeusschen, waere nicht in unmittelbarer Naehe die grosse Attraktion Boliviens. Was Peru sein Machu Picchu, ist Bolivien der Salar Uyuni. Der Salar ist im manuell arbeitenden Bolivien eine schier unerschoepfliche Rohstoffquelle, aus der schon seit Generationen Salz abgebaut und verkauft wird. Heute ist er vor allem touristische Attraktion, die jaehrlich tausende Traveler anzieht. In Gelaendewagen fahren sie ueber den Salar, die Wueste, umrunden die Lagunen im suedlichsten Teil des Altiplano.

Ich gehe mit meinen drei Leidensgenossinen aus Neuseeland in ihrem Hotel fruehstuecken und buche dort direkt ein Zimmer fuer die Rueckkehr der Tour durch den South West Circuit.

Wir treffen uns bei der Agentur. Auf der Strasse steht ein Toyota Landcruiser, der Standard-Gelaendewagen hier. Unser Gepaeck wird auf dem Dachgepaecktraeger verzurrt, zusammen mit zwei dicken Kanistern mit zusetzlichem Sprit und eine Gasflasche zum Kochen.
Wir verlassen das Oertchen Uyuni fast im Konvoi mit einer schieren Armada weiterer Gelaendewagen. Kaum vorstellbar, wie es hier zur Hochsaison zugehen muss. Es ist beginn der Regenzeit.
Wir machen einen kurzen Abstecher zum so genannten Eisenbahn-Friedhof. Unzaehlige Dampfloks aus laengst vergangenen Zeiten oxidieren hier in der salzigen Wueste vor sich hin. Zum groessten Teil ausgeschlachtet sind diese Giganten stumme Zeugen einer Zeit, als Uyuni noch Umschlagstelle fuer kostbare Erze zwischen Bolivien und Chile war. Heute ist die Zeit des grossen Erzabbaus vorueber. Der Eisenbahn-Friedhof erinnert nur vage an diese Epoche. Der spaerliche Vegetation von kargen Bueschen ist uebersaeht mit Plastiktueten, die der unerbittliche Wind ueber die Ebene geblasen hat.

Wir erreichen den Rand des Salzsees.
Vor uns liegt eine schier nicht enden wollende Ebene, von Horizont bis Horizont nur weiss. Lediglich die Piste der Gelaendewagen zieht sich wie eine der Nazca Linien dunkelgrau von Reifengummi und Motorenoel schnurgerade durch das Nichts.
Weit entfernt am Horizont erkennen wir zwischen gleissendem Weiss und tiefem Blau eine dunkle Erhebung.

Nach einer dreiviertel Stunde Fahrt erreichen wir Incahuasi Island, der Fisch- oder Kaktusinsel.
Wir der Ruecken eines gigantischen Fischs hebt sich die Insel aus dem Salz empor. Mit dem wenigen Wasser, das nur einmal im Jahr zur Regenzeit faellt, waechst hier nichts ausser Kakteen, die sich die unwirtliche Umgebung zu Untertan gemacht haben. So wachsen sie hier, ohne fressende Tiere, kontinuierlich einen Centimeter pro Jahr. Hunderte Jahre alt, ragen sie teils mehrere Meter hoch in den Himmel.

Wir machen die obligatorishen Salar Uyuni Fotos. Das eintoenige Weiss der Ebene laesst Entfernungen verschwinden und bei so viel Licht gibt es Tiefenschaerfe im Ueberfluss.

Wir verlassen Incahuasi, folgen der dunklen Linie im Weiss und erreichen den Rand des Salars. Jetzt holpern wir ueber die Schotterpiste der Steinwueste in Richtung dem chilenischen Grenzgebiet.
Erneut treffen wir auf die Eisenbahnstrecke, die vor Jahren das Erz aus Bolivien nach Chile fuehrte. Heute verschwindet sie am Horizont, befahren lediglich von sie kreuzenden Allradwagen auf ihrem Weg zu den farbigen Lagunen tiefer in der Wueste des Altiplano.
Wir erreichen unser Hotel, das ganz aus Salz gebaut ist. Quader aus Salz, einfach aus dem Boden des Salar gesaegt sind hier wie Backsteine aufeinander geschichtet und mit Salzbrei verkittet. Sogar die Betten sind aus Salz, entsprechend hart schlaeft es sich auf den durchgelegenen Matratzen.

Nach einem einfachen Frueckstueck beladen wir wieder unseren Landcruiser und setzen unsere Fahrt ueber das Altiplano fort. Auf dreieinhalbtausend Meter Hoehe passieren riesige Vulkane, die sich gigantisch in den Himmel erheben. Ich habe meine Erfahrung mit 6.000ern bereits gemacht und beteilige mich nicht an den sich ueberbietenden Geschichten meiner Mitreisenden sondern geniesse lieber die phantastische Aussicht auf diese fremde Welt.

Gegen Mittag erreichen wir die erste der fabigen Seen Laguna Colorada. Tief blau liegt sie vor uns inmitten der sie umgebenden Berge aus rotem Braun in allen Schattierungen.

Als wir naeher kommen sehen wir, dass sich unzaehlige Flamingos auf dem tiefblauen Wasser tummeln.

Mit ihren langen Beinen starksen sie durch den schwarzen Schlick.

Nach einem ausgiebigne Mittagessen, das unser Fahrer wie am Tag zuvor als Picknick zusammenbastelt, setzen wir unsere Fahrt vor. Wir erreichen die Laguna Verde, die vom Wind aufgewuehlt in tyrkisnem Gruen schimmert.
Eiskalter Wind baest uns ins Gesicht, das von der grellen Sonne zu verbrennen droht. Ein eigenartiger Gegensatz, wie die atemberaubende Schoenheit dieses Wuestensees in der kargen Einoede des bolivianischen Hochlands auf 4.300m Hoehe.
Ich koennte stundenlang am Ufer des Sees sitzen, die Jacke bis oben hin zugezogen, Muetze auf und den Kragen hochgestellt, die Augen hinter der Sonnenbrille halb zugekniffen.
Aber unser Fahrer hat ein straffes Pensum mit uns abzuarbeiten und draengt zur Weiterfahrt.
Wir erreichen die dritte der Lagunen, die in ochsenblutrot einen unglaublichen Kontrast zum Blau des Himmels bildet.
Unweit der Lagune finden wir unsere Herberge fuer die Nacht.
Draussen pfeifft der Wind die Sonne hinter den Horizont, waehrend wir im Refugio Coca Tee trinken und bolivianische Kekse knabbern.
Als die letzten Sonnenstrahlen verloeschen steht der Mond bereits hoch am Himmel. Mit der einsetzenden Dunkelheit beginnt es aus dem wolkenlosen Himmel zu schneien. Ein unglaubliches Schauspiel.

Tag drei unserer Rundfahrt.
Noch im Dunkeln brechen wir auf und erreichen bei Sonnenaufgang passend zum Namen das Sol de Mañana Geyser Basin. Die Baterien meiner Kamera sind in der Kaelte restlos entladen und so begnuege ich mich mit dem Bestaunen der ununterbrochen in den Morgenhimmel duesenden Dampffontaene. Uebermuetige Besucher halten Haende und Fuesse in die donnernde Saele aus Wasser und Dampf, werfen ihre Muetzen hinein, die meterhoch in die Luft geschleudert werden oder springen jauchzend hindurch.
Ich bin muede und mir ist kalt. Was gaebe ich fuer eine ordentliche Tasse duftenden Kaffees.
Es geht weiter, vorbei an blubbernden Loechern aus schwarzem Matsch, den unser Fahrer Lava nennt. Es stinkt nach Schwefel und faulen Eiern typisch fuer solche Oeffnungen zum Erdinnern.
Wir passieren den hoechsten Punkt unserer Rundfahrt ueber das bolivianische Altiplano. Mein Altimeter zeigt 4.800m an. Zwar fahren wir von hieran vor allem bergab, rings um uns stehen jedoch Berge wie in Alpentaelern. Kaum vorstellbar, das wir uns nur 10m unter dem Gipfel des Mont Blancs befinden, dem hoechsten Punkt Europas.

Als letzten Punkt unseres Circus treffen wir auf eine Landschaft aus vom Wind zerkluefteten Felsbrocken. Jahrmillionen langes sandstrahlen hat hier bizarre Figuren aus Fels hinterlassen.
Meine Kamera hat sich entschlossen mit der Waerme des Tages noch ein paar Bilder zu machen. Und so schiesse ich die ueblichen Fotos, denn unser Fahrer scharrt weiter unbehaglich mit den Hufen. Wir haben noch einige Stunden Weg vor uns bis zurueck nach Uyuni.



Endlich machen wir uns auf die letzte Etappe, zurueck zum Ausgangspunkt unserer Fahrt. Im Aussenspiegel blicke ich zurueck. Hinter uns ragen die gigantischen Berge aus dem wuestensand des Altiplanos.
Wir rumpeln ueber ausgefahrene Dreckpisten, mal einfach daneben. Immer wieder fallen mir die Augen zu bis ich vom heftigen Schuetteln des sich durch´s Gelaende windenden Autos wieder aufgeweckt werde.
Endlich erreichen wir Uyuni.
Wir laden unser Gepaeck ab, verabreden uns fuer spaeter zum gemeinsamen Abendessen, dann schleiche ich mich in Richtung meines Hotels.
Mir ist heiss und kalt, ich zittere ein wenig. Mein Kopf ist leicht und meine Atmung schwer. Ich bin muede und meine Finger und Fuesse sind taub.
Ich nehme ein paar Aspirin, trinke noch etwas und lege mich endlich schlafen. Ich bin froh nicht direkt mit dem Nachtbus weiter nach Potosi zu fahren. gern waere ich mit den anderen Essen gegangen.
Dankbar fuer solch einmalige Erlebnisse und unvergessliche Eindruecke falle ich in einen unruhigen Schlaf.